SIBO- small intestinal bacterial overgrowth
Die bakterielle Überwucherung und Fehlbesiedlung des Dünndarms

Was ist SIBO?
SIBO steht für Small Intestinal Bacterial Overgrowth – auf Deutsch: Dünndarmfehlbesiedlung.
Darunter versteht man eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms mit Bakterien, die dort normalerweise nicht oder nur in sehr geringer Zahl vorkommen sollten.
Während der Dickdarm eine regelrechte „Bakterienfabrik“ ist, bleibt der Dünndarm bei gesunden Tieren weitgehend keimarm. Bei Hund und Katze sind dort hauptsächlich Lactobazillen angesiedelt. Diese unterstützen die Verdauung, ohne sie zu stören.
Kommt es jedoch zu einer Fehlbesiedelung, wandern Bakterien aus dem Dickdarm in den Dünndarm ein – oder sie vermehren sich dort unkontrolliert. Typische Erreger sind E. coli, Enterokokken, Staphylokokken, Clostridien oder Bacteroides.
Das Problem: Diese Bakterien beginnen schon im Dünndarm mit der Gärung von Nährstoffen. Es entstehen große Mengen an Wasserstoff oder Methan, die zu Blähungen, Entzündungen und Schleimhautschäden führen.
Warum ist der Dünndarm normalerweise keimarm?
Der Körper hat verschiedene Schutzmechanismen, um den Dünndarm frei von Bakterien zu halten:
- Magensäure tötet die meisten Keime bereits im Magen ab.
- Galle und Verdauungsenzyme wirken antibakteriell.
- Peristaltik sorgt für schnellen Weitertransport des Nahrungsbreis.
- Die Ileocaecalklappe verhindert das Aufsteigen von Bakterien aus dem Dickdarm.
Fällt einer dieser Schutzmechanismen aus – z. B. durch Magensäuremangel, eine Operation oder chronische Erkrankungen – haben Bakterien leichtes Spiel.
Pathophysiologie & Schutzmechanismen
Der Dünndarm ist unter physiologischen Bedingungen relativ keimarm. Dafür sorgen mehrere Schutzmechanismen:
- Magensäure: Sie tötet einen Großteil der mit der Nahrung aufgenommenen Keime ab. Fällt die Magensäureproduktion ab (z. B. durch Medikamente, chronische Magenerkrankungen), steigt das Risiko einer Fehlbesiedlung.
- Gallensalze und Pankreasenzyme: Sie wirken antibakteriell und verhindern, dass sich Bakterien in großer Zahl im Dünndarm vermehren.
- Peristaltik und Migrating Motor Complex (MMC): Die rhythmischen Bewegungen des Darms befördern Nahrung, Flüssigkeit und Bakterien stetig weiter in Richtung Dickdarm. Ist die Darmmotilität gestört (z. B. durch Entzündungen, Nervenschäden, hormonelle Erkrankungen), können sich Bakterien im Dünndarm leichter festsetzen.
- Ileocaecalklappe: Diese wirkt als Barriere zwischen Dünn- und Dickdarm. Ist sie geschwächt oder defekt, können Bakterien aus dem Dickdarm zurück in den Dünndarm aufsteigen.
- Anatomische Veränderungen: Resektionen, Narbenbildungen oder eine Darminvagination können den Weitertransport des Speisebreis behindern. Dadurch entstehen Stauungen im Dünndarm, die ein ideales Milieu für Bakterienwachstum schaffen.
- Immunsystem: Lymphatisches Gewebe im Dünndarm (Peyer-Plaques, IgA-Sekretion) kontrolliert, welche Mikroorganismen toleriert und welche bekämpft werden.
Kommt es zu einer SIBO, kippt dieses Gleichgewicht:
- Bakterien vermehren sich im Dünndarm, wo sie eigentlich nicht hingehören.
- Biochemisch entstehen Fehlgärungen: Kohlenhydrate werden von den Bakterien in großen Mengen zu Gasen (Wasserstoff, Methan, Kohlendioxid) umgesetzt → Blähungen, Krämpfe, Bauchschmerzen.
- Kurzkettige Fettsäuren (SCFA) entstehen in abweichender Zusammensetzung: vermehrt Laktat, weniger Butyrat. Das führt zu einer pH-Verschiebung, Schleimhautreizungen und einer Beeinträchtigung der lokalen Energieversorgung der Enterozyten.
- Ammoniak und biogene Amine werden beim bakteriellen Eiweißabbau gebildet. Diese Stoffwechselprodukte können die Leber belasten, wirken neurotoxisch und führen zu Müdigkeit, Unruhe oder auch „Benommenheit“ bei Tieren.
- Endotoxine (Lipopolysaccharide, LPS) aus gramnegativen Bakterien dringen in die Schleimhaut ein und verstärken systemische Entzündungsprozesse.
- Clostridien-Toxine (z. B. das α-Toxin von Clostridium perfringens) können direkte Nekrosen an der Schleimhaut hervorrufen und die Entzündung massiv verstärken.
- Fett- und Proteinspaltung wird gestört → Maldigestion, Durchfälle, Steatorrhö.
- Schleimhautschäden entstehen durch bakterielle Toxine, Entzündungsreaktionen und pH-Verschiebungen. Die Tight Junctions zwischen den Enterozyten öffnen sich → Leaky Gut.
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Die Folge: Immunaktivierung, Nährstoffmangel (z. B. Eisen, B12, fettlösliche Vitamine) und die Entstehung sekundärer Erkrankungen.
Exokrine Pankreasinsuffizienz (EPI) als Auslöser
Ein besonders enger Zusammenhang besteht zwischen EPI und SIBO:
- Bei EPI produziert die Bauchspeicheldrüse nicht genügend Verdauungsenzyme.
- Unverdaute Nahrung gelangt in den Dünndarm → ideales „Futter“ für Bakterien.
- Gleichzeitig fehlen antibakterielle Substanzen wie Trypsin und Lipase.
Das führt dazu, dass Hunde mit EPI häufig zusätzlich eine SIBO entwickeln, was die Therapie erschwert: Trotz Enzymgabe bessern sich die Symptome oft nur unvollständig, solange die Fehlbesiedlung nicht berücksichtigt wird.
Tierart- und rassespezifische Risiken
Hunde:
- Bestimmte Rassen sind überproportional betroffen, z. B. Deutsche Schäferhunde und Shar Peis. Vermutlich spielen genetische Faktoren (z. B. Immunschwächen, anatomische Besonderheiten) eine Rolle.
- Auch Hunde mit chronischen Darmentzündungen, Leber- oder Gallenerkrankungen sind anfälliger.
Katzen:
- Bei Katzen wird der Begriff SIBO seltener verwendet. Stattdessen spricht man zunehmend von Small Intestinal Dysbiosis (SID), weil echte Dünndarmfehlbesiedlungen schwerer nachzuweisen sind.
- Katzen zeigen oft Mischbilder mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (IBD), Pankreasproblemen und Dysbiosen.
Ursachen einer SIBO
- Veränderungen der Darmanatomie (z. B. nach OP, Invagination, Dünndarmresektion)
- Darminvagination
- Defekte der Ileocaecalklappe (z. B. durch starke Gasbildung im Dickdarm)
- Mangel an Magensäure
- Schädigung der Dünndarmflora durch Antibiotika oder Toxine
- Bauchspeicheldrüsen- und Lebererkrankungen
- Erkrankungen der Gallenwege
- Strahlen- oder Chemotherapie
- Dauerhafte Gabe von Immunsuppressiva
- Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder Lebensmittelvergiftungen
- Diabetes mellitus (verminderte Darmbewegung fördert Bakterienwachstum)
Symptome einer SIBO
Die Beschwerden können vielfältig sein – oft chronisch und schleichend.
- Blähungen, Druckempfindlichkeit im vorderen Bauchraum
- Bauchschmerzen bis hin zu Krämpfen
- Verdauungsstörungen, Proteinverlust
- Unverdaute Nahrungsreste im Kot
- Aufstoßen, vermehrtes Schmatzen, Zähneknirschen
- Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen
- Veränderung der Stuhlfrequenz (häufiger Durchfall, selten Verstopfung)
- Fettstuhl (Steatorrhö)
- Gewichtsverlust trotz Futteraufnahme
- Struppiges Fell, Leistungsschwäche
- Neurologische Symptome (bei starkem Vitamin-B12-Mangel)
Folgen einer unbehandelten SIBO
- Schädigung der Darmzotten und Darmschleimhaut
- Mangelernährung – insbesondere Eisen, Kalzium, Vitamin A, D, E und B12
- Leaky Gut-Syndrom (durchlässige Darmschleimhaut)
- Dickdarmdysbiose als Folgeproblem
- Gestörte Darmmotilität
- Sekundäre Organschädigungen
- Chronische Infektionen und Hautprobleme
Diagnostik bei Hund und Katze
Die Diagnose ist nicht immer einfach, da die Symptome unspezifisch sind. Wichtig ist die Kombination aus klinischem Bild, Blutwerten und Kotanalysen.
Blutuntersuchungen:
- Vitamin B12 (Cobalamin)
- Folsäure
- Eisenstatus
Kotuntersuchungen:
- Verdauungsrückstände (Fett, Stärke, Eiweiß)
- Entzündungsmarker (Lysozym, PMN-Elastase, Zonulin)
- Gallensäuren
- Enterosan Vet: detaillierte Analyse der Bakterienzusammensetzung
Praxisbeispiel: Vitamin B12 und Folsäure bei SIBO
Die Kombination von Vitamin-B12- und Folsäure-Werten ist bei der SIBO-Diagnostik besonders aufschlussreich – aber auch fehleranfällig, da Bakterien die Werte stark verfälschen können.
- B12 scheinbar zu hoch:
Bakterien im Dünndarm produzieren Cobalamin-Analoga. Diese ähneln echtem Vitamin B12 und werden im Labor mitgemessen – sind aber biologisch wirkungslos. Der Wert wirkt „zu hoch“, obwohl das Tier in Wahrheit einen funktionellen B12-Mangel hat. - Folsäure zu niedrig:
Bakterien verbrauchen aktiv Folsäure für ihren eigenen Stoffwechsel. Dadurch sinkt der Folsäurewert im Blut. → Typisch bei bakterieller Überwucherung. - Folsäure zu hoch:
Bestimmte Bakterienarten (z. B. E. coli, Enterokokken, Clostridien) produzieren selbst Folsäure. Dadurch kann der Wert im Blut ansteigen. Dieser Überschuss ist jedoch nicht physiologisch verwertbar, sondern ein Hinweis auf Fehlgärungen und Fehlbesiedlung.
Wichtig: Ein isolierter Wert sagt wenig aus. Erst die Kombination von B12 und Folsäure sowie die klinischen Symptome geben ein klares Bild.
Beispielauswertung:
- B12 hoch + Folsäure hoch → Hinweis auf bakterielle Überproduktion beider Substanzen.
- B12 hoch + Folsäure niedrig → typisches Muster bei SIBO (Analoga + Verbrauch).
- B12 niedrig + Folsäure hoch → B12-Mangel trotz bakterieller Folsäureproduktion.
- B12 niedrig + Folsäure niedrig → schwerer Nährstoffmangel durch massive Fehlbesiedlung.
Therapie
- Abtöten der Bakterien eventuell mit Antibiotika oder Kräutern
- Ursachen finden und bekämpfen
- Ernährungsumstellung
- Symptome lindern
- Darmschleimhaut Aufbau
- Prävention
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