Nierenerkrankungen bei Hunden und Katzen

Grundlagen der Chronischen Niereninsuffizienz (CNI)

Was ist CNI?

Die Chronische Niereninsuffizienz (CNI) ist eine ernsthafte und fortschreitende Erkrankung, bei der die Nieren ihre lebenswichtigen Funktionen zunehmend verlieren. Nieren dienen als hochkomplexe Filtersysteme des Körpers, die Stoffwechselendprodukte und Giftstoffe aus dem Blut filtern und über den Urin ausscheiden.

Krankheitsmechanismus

  • Langsamer und schleichender Prozess der Nierenschädigung
  • Häufig Schädigung der Nierentubuli (kleine Röhrchen in der Niere)
  • Ansammlung schädlicher Substanzen im Körper
  • Erschwerte Früherkennung durch schleichenden Verlauf

Ursachen und artspezifische Unterschiede

Bei Katzen

  • Altersbedingte Abnahme: Senile Nephropathie
  • Polyzystische Nierenerkrankung: Zystenbildung verdrängt und zerstört Nierengewebe

Bei Hunden

  • Nierenentzündung (Nephritis): Oft durch Infektionen (z.B. Leptospirose), Autoimmunerkrankungen oder Medikamente
  • Angeborene Anomalien: Nur eine Niere oder unterentwickelte Nieren

Weitere Risikofaktoren

  • Chronisch hoher Blutdruck
  • Diabetes
  • Genetische Veranlagungen

Symptome der CNI

Frühe unspezifische Symptome

  • Polyurie: Vermehrtes, häufiges Urinieren (verdünnter Urin)
  • Polydipsie: Vermehrte Wasseraufnahme als Reaktion auf Flüssigkeitsverlust

Fortgeschrittene Symptome

  • Übelkeit und Erbrechen
  • Appetitlosigkeit (Inappetenz)
  • Gewichtsverlust, eingefallene Seiten
  • Struppiges, glanzloses Fell
  • Acetongeruch aus dem Maul (Urämischer Atem)
  • Anämie (Blutarmut) bei fortschreitender CNI

Stadien der CNI

Stadium 1 - Frühes Stadium

  • Nierenfunktion: Nur geringfügig eingeschränkt
  • Symptome: Meist keine offensichtlichen Symptome
  • Blutwerte: Noch im normalen oder knapp darüber liegenden Bereich
  • Maßnahmen: Früherkennung durch Vorsorgeuntersuchungen, präventive nierenschonende Fütterung

Stadium 2 - Mäßige Einschränkung

  • Nierenfunktion: Leichte bis mittlere Störung
  • Symptome: Erste milde Symptome (Polydipsie, Polyurie, schwankender Appetit)
  • Blutwerte: Leicht erhöhte Kreatinin- oder SDMA-Werte
  • Maßnahmen: Angepasste, phosphorreduzierte Fütterung, ggf. Phosphatbinder

Stadium 3 - Deutliche Einschränkung

  • Nierenfunktion: Mittelgradige bis schwere Störung
  • Symptome: Ausgeprägte Symptome (Gewichtsverlust, chronischer Appetitmangel, häufiges Erbrechen)
  • Blutwerte: Deutlich erhöhte Kreatinin- und Harnstoffwerte
  • Maßnahmen: Intensive Ernährungstherapie, Omega-3-Fettsäuren, Phosphatbinder

Stadium 4 - Endstadium

  • Nierenfunktion: Sehr schwer eingeschränkt
  • Symptome: Schwere Übelkeit, vollständige Appetitlosigkeit, Austrocknung, neurologische Ausfälle
  • Blutwerte: Massive pathologische Veränderungen
  • Maßnahmen: Palliative Maßnahmen zur Stabilisierung und Lebensqualitätsverbesserung

Diagnostik - Wichtige Blutwerte

Primäre Nierenwerte

  • SDMA (Symmetric Dimethylarginine):
    • Sehr sensitiver Frühindikator (steigt bei 25-40% Funktionsverlust)
    • Kann auch bei Entzündungen erhöht sein
    • Wichtig: Bei isoliert erhöhtem SDMA immer Urinuntersuchung und Zahnkontrolle!
  • Kreatinin:
    • Verlässlicher Marker, steigt aber erst bei >75% Funktionsverlust
    • Nicht allein ausreichend für CNI-Diagnose
  • Harnstoff:
    • Stark proteinabhängig (bei BARF oft erhöht ohne CNI)
    • Steigt oft früher als Kreatinin
    • Kein alleiniger CNI-Marker

 

Sekundäre Parameter

  • Phosphat: Steigt bei eingeschränkter Ausscheidung
  • FGF-23: Sehr früher Marker, oft vor SDMA/Kreatinin erhöht
  • Kalium: Mangel häufig bei Katzen (Hypokaliämie), Überschuss im Endstadium
  • Magnesium: Ungleichgewicht möglich
  • Natrium: Wichtig für Blutdruckregulation

Unverzichtbare Zusatzdiagnostik

  • Urinuntersuchung: Entscheidend! Proteinurie = starkes CNI-Indiz
  • Ultraschall: Zeigt oft Nierenverkleinerung in fortgeschrittenen Stadien
  • Blutdruckmessung: Hypertonie häufige Komplikation

Ernährungstherapie - Der wichtigste Behandlungspfeiler

🔥 WICHTIG:
Fütterung ist die wichtigste therapeutische Maßnahme!

Grundprinzipien

  • Schon bei leicht erhöhten Nierenwerten Ernährung anpassen
  • Nicht voreilig auf handelsübliche "Nierendiätfutter" umstellen
  • Qualität vor Quantität bei Proteinen
  • Individuelle Anpassung je nach Stadium

Proteinmanagement - Mythen aufgeklärt

 

❌ FALSCH: Hohe Eiweißmengen sind grundsätzlich schädlich

✅ RICHTIG: Der Körper braucht hochwertiges Eiweiß!

     

     

    • Zu wenig Protein führt zu:
      • Muskelabbau
      • Schwächung des Immunsystems
      • Beschleunigter Gewebeabbau (auch Nierengewebe!)
    • Entscheidend ist:
      • Qualität des Eiweißes
      • Phosphormanagement
      • Hochverdauliche, essentielle Fettsäuren
      • Tierische Proteine meist besser als pflanzliche

    Phosphormanagement

    • Zielwert: Etwa 70% des Phosphorerhaltungsbedarfs
    • Richtwert: Nicht über 45 mg/kg Körpergewicht/Tag (Meyer/Zentek)
    • Calcium-Phosphor-Verhältnis: 1,3-1,6:1

    Zu meidende phosphorreiche Futterbestandteile:

    • Knochen und Knochenmehl
    • Dicalciumphosphat
    • Gehirn
    • Hirse und Reis
    • Geflügelmägen

    Fütterungsoptionen

    Rohfütterung (BARF) bei CNI

    Fleischauswahl

    • Schwerpunkt: Muskelfleisch
    • Geeignet: Huhn, Kaninchen (phosphorarm)
    • Sparsam: Bindegewebiges Fleisch, Innereien
    • Fettanteil: 18-20% erhöhen

    Ergänzungen

    • Omega-3-Fettsäuren: Fischöl, Krillöl (mit Vitamin E stabilisiert)
    • Calcium: Calciumcarbonat/Gluconat (statt Knochen)
    • Ballaststoffe: Flohsamen (ca. 5% der Ration)
    • Komplett-Präparate: Felini Renal, easy BARF basic/sensitive

    Zu vermeiden bei Katzen

    • Pflanzliche Bestandteile (über Ballaststoffanteil hinaus)
    • Phosphorreiche Zusätze

      Konventionelle Fütterung (Nassfutter)

      Auswahlkriterien

      • Proteingehalt: 7-8% Rohprotein akzeptabel, aber Qualität entscheidend
      • Fettanteil: Katzen 7-9%, Hunde 6-8% Rohfett
      • Muskelfleischanteil: Hoch
      • Zu vermeiden: Kohlenhydrate, Zucker, Cellulose, Bindemittel, Pflanzenöle

      Ergänzungen

      • Omega-3-Fettsäuren zusätzlich
      • Tierisches Fett zur Kalorienerhöhung
      • Calciumcarbonat bei Bedarf
      • Alternative: Reinfleischdosen mit eigenen Zusätzen

      Spezielle Nährstoffanforderungen bei CNI

      Fette und Fettsäuren

      • Tierisches Fett: Im oberen Bereich halten
      • EPA/DHA: 200% über Normalbedarf
      • Omega-6:Omega-3-Verhältnis: Nicht ungünstig werden lassen
      • Keine Pflanzenöle: Schlechte Verwertung bei Fleischfressern

      Vitamine

      • B-Vitamine: Ergänzung oft nötig (Verlust bei Polyurie)
      • Vitamin A: Erhöhter Bedarf (2-3x normal), aber vorsichtig dosieren
      • Vitamin D: Bedarfsdeckend, abhängig von Calciumwerten

      Mineralien

      • Calcium: Immer bedarfsdeckend, auch bei Phosphorreduktion
      • Natrium: Reduziert wegen Blutdruck
      • Kalium: Bei Katzen oft Ergänzung nötig
      • Magnesium: Regelmäßige Kontrolle

      Antioxidantien

      • Warum wichtig: Erhöhte freie Radikale bei CNI + Omega-3-Schutz
      • Beispiele: Astaxanthin, Vitamin E/C, Taurin (Katzen!), Flavonoide
      • Umsetzung: Krillöl bei Katzen, antioxidantienreiche Futterbestandteile

      Praktisches Management

      Flüssigkeitshaushalt

      • Ziel: Ausreichende Flüssigkeitsaufnahme
      • Maßnahmen: Nassfutter bevorzugen, mehrere Wasserstellen

      Blutdruck

      • Problem: Hypertonie häufig bei CNI (besonders Katzen)
      • Ursache: Natriumanreicherung durch schlechte Ausscheidung
      • Kontrolle: Mindestens jährlich, auch bei gut eingestellten Tieren

      Appetitanregung bei Futterverweigerung

       

      ⚠️ KRITISCH: "Nichtfressen bedeutet Sterben!"

       

       

      Maßnahmen für Katzen:

      • Thunfischsaft
      • Geräucherte Putenbrust
      • Gekochtes Brathähnchen (ohne Haut)
      • Futter erwärmen (verstärkt Geruch)
      • Handfütterung
      • "Umami aus dem Glas"
      • Slippery Elm Bark Paste

      Maßnahmen für Hunde:

      • Kamillentee bei Übelkeit
      • Pfefferminztee (kurzfristig)
      • Eibischwurzel
      • Gekochte Leinsamen (nicht zerstoßen!)
      • Haferschleim

      Monitoring und Verlaufskontrolle

      Wichtige Grundsätze

      Regelmäßige Kontrollen

      • Blutwerte: Abhängig vom Stadium
      • Urinuntersuchung: Bei jeder Kontrolle
      • Blutdruck: Mindestens jährlich
      • Gewicht: Regelmäßig zu Hause

      Warnsignale

      • Verschlechterung des Allgemeinzustands
      • Futterverweigerung
      • Verstärktes Erbrechen
      • Apathie, neurologische Symptome

      Pragmatischer Ansatz

      • Gesamtbild wichtiger als einzelne Werte
      • Lebensqualität im Fokus
      • Manchmal stimmen Blutwerte und Symptome nicht überein
      • Ziel: Möglichst langes, lebenswertes Leben

      Diagnostik

      • Niemals nur einen Wert betrachten
      • Gesamtbild aus Klinik, Labor, Urin und Bildgebung
      • Bei isoliert erhöhtem SDMA: Zahnkontrolle!
      • Urinuntersuchung ist unverzichtbar

      Ernährung

      • Früh beginnen: Schon bei leichten Werterhöhungen
      • Qualität vor Quantität
      • Phosphor begrenzen, Protein nicht zu stark reduzieren
      • Individualität: Jedes Tier ist anders

      Lebensqualität

      • Fressen ist überlebenswichtig
      • Bei Futterverweigerung pragmatische Lösungen
      • Regelmäßige Kontrollen, aber nicht übertreiben
      • Ruhe bewahren bei Wertschwankungen

      Zusammenfassung

      Die CNI ist eine ernsthafte, aber mit dem richtigen Management gut beeinflussbare Erkrankung. Der Schlüssel liegt in:

      1. Früherkennung durch regelmäßige Vorsorge
      2. Konsequente Ernährungsanpassung als wichtigste Maßnahme
      3. Regelmäßiges Monitoring ohne Überdiagnostik
      4. Pragmatisches Vorgehen mit Fokus auf Lebensqualität
      5. Enge Zusammenarbeit mit dem Tierarzt

      Wichtigste Botschaft: Eine CNI ist kein Todesurteil! Mit der richtigen Ernährung und Betreuung können viele Tiere noch Jahre mit guter Lebensqualität verbringen.